Einsamkeit – die stille Geisel unserer modernen Gesellschaft
„Die Empfindung des Einsamseins ist schmerzlich, wenn sie uns im Gewühl der Welt, unerträglich jedoch, wenn sie uns im Schoße unserer Familie [Freunde und Mitmenschen] überfällt.“ (Marie von Ebner Eschenbach)
In der heutigen Zeit gibt es fast niemanden mehr, der nicht ständig über das eine oder andere soziale Netzwerk wie beispielsweise Facebook, Tinder, Instagram, WhatsApp und Co mit seiner Umwelt vernetzt ist und die wenigen, die es nicht sind, werden meist mit einem Beigeschmack der Fortschrittsverweigerung belächelt. Fast jeder von uns hat ein Smartphone, ein Tablet oder einen Computer. Wir kommunizieren damit bzw. stehen ständig mit anderen Menschen über diese Medien in Kontakt. Die Digitalisierung ist ein fixer Bestandteil unserer modernen Welt geworden und aus unserem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Auch die Digitalisierung unserer zwischenmenschlichen Kontakte und Kommunikationswege, sollte man meinen, macht vieles einfacher, aber trotzdem beobachten Psychotherapeut*Innen sowie Mitglieder anderer verwandter Professionen, die sich mit dieser Thematik intensiv auseinandersetzen, dass immer mehr Menschen sich von ihren Mitmenschen abgeschnitten fühlen und die zunehmende Vereinsamung still und heimlich zur Volkskrankheit – manche Expert*Innen behaupten sogar, zur Todesursache Nummer 1 - in unserer Gesellschaft wird. Aber wenn wir doch so selten alleine sind, warum werden wir trotzdem immer einsamer? Und wenn wir uns einsam fühlen, was können wir dann tun, um einen Weg aus diesem Teufelskreis zu finden?
Eines ist allen Expert*Innen klar – Einsamkeit bzw. Vereinsamung macht auf Dauer krank!
Um dieses Dilemma begreifen zu können, ist es jedoch wichtig zu verstehen, dass Einsamkeit und Alleinsein nicht verwechselt werden dürfen. Es kann durchaus sein, dass Menschen sich phasenweise oder auch längerfristig bewusst für das Alleinsein entscheiden, ohne sich dadurch chronisch einsam zu fühlen. Während Alleinsein, im Sinne einer meist zeitlich begrenzten sozialen Isolation, ein Zustand ist, den manche Leute vielleicht fürchten, andere wiederum zumindest zwischendurch genießen oder sogar für ihre Erholung brauchen und als heilsam empfinden, handelt es sich bei der Einsamkeit um ein Gefühl, eine innere Wahrnehmung. Es sind dabei nicht die objektiven äußeren Umstände, auf die es ankommt, sondern es ist das subjektive innere Erleben eines Individuums, und gerade in einem sozialen Kontext kann sich dieses Gefühl der Einsamkeit bei Betroffenen sehr verstärken.
Viele Menschen, die sich einsam fühlen, leiden im Stillen und Verborgenen. Wenn sie sich doch überwinden und sich ihren Mitmenschen anvertrauen, bekommen sie oft gut gemeinte, aber für ihre Situation wenig hilfreiche Ratschläge. Einem Menschen, der sich einsam fühlt, vor allem, wenn dieser Zustand schon länger andauert oder sogar chronifiziert ist, zu sagen, er oder sie brauche sich doch nur zu öffnen, auf andere zuzugehen und andere Menschen kennenzulernen, kann damit verglichen werden, einem alkoholabhängigen Menschen zu raten, er oder sie brauche doch einfach nur nicht mehr zu trinken – es ist ja genau das Problem einsamer Menschen, dass sie das nicht so einfach können (sei es aufgrund früherer schmerzhafter Erfahrungen, aufgrund des Umfeldes, in dem sie leben oder auch aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur), der Leidenszustand verbessert sich dadurch oft nicht, ganz im Gegenteil, er kann sich verschärfen, und zusätzlicher Druck entsteht.
In der heutigen Zeit wird der Weg in die Einsamkeitsfalle vor allem durch soziale Medien enorm verschärft, da durch sie wirkliche, wertvolle und persönliche Kontakte immer weniger werden. Für viele verlieren auf diese Weise reale zwischenmenschliche Verbindungen und eine echte Kommunikation immer mehr an Bedeutung und werden durch oberflächliche und unverbindliche digitale (Schein-)Beziehungen ersetzt.
Der deutsche Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer (2016) setzt sich intensiv mit dieser Thematik auseinander und hat herausgefunden, dass das Gefühl der chronischen Einsamkeit eine massive existenzielle Stressbelastung darstellt. Durch den Leidensdruck Betroffener schaltet ihr Gehirn in einen Notfallmodus und es werden die gleichen Hirnareale aktiviert wie auch bei physischem Schmerz. Folgen des durch die chronische Einsamkeit dauernd erhöhten Cortisolspiegels (Cortisol ist unser Stresshormon) können beispielsweise körperliche Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzkreislauf-Erkrankungen sein – sogar das Risiko einer Krebsentstehung kann durch das dadurch emotional stressbelastete Immunsystem begünstigt werden. Aber nicht nur körperliche Erkrankungen werden damit gefördert, vor allem auch die Entstehung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, oder auch dementielle Erkrankungen wie Alzheimer werden durch chronische Einsamkeit massiv begünstigt. Laut Spitzer kann das Einsamkeitssyndrom langfristig die Lebenserwartung Betroffener genauso reduzieren wie übermäßiger Alkohol- oder Zigarettenkonsum und nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass auch die Suizidrate bei chronisch einsamen Menschen erhöht ist.
„Einsamkeit und das Gefühl unerwünscht zu sein, ist die schlimmste Armut“
(Mutter Teresa).
Reale und echte zwischenmenschliche Kontakte sowie ein „Eingebunden- und Verbunden-Sein“ sind zutiefst menschliche Grundbedürfnisse, trotzdem scheint in unserer Gesellschaft, wie man es auch am Beispiel der sozialen Medien erkennen kann, ein Trend zu bestehen, dass individuelle Lebensgestaltungen mit möglichst wenig Einschränkungen verbunden sein sollen. Manche Menschen erleben verbindliche Beziehungen, feste Bindungen und eine Gemeinschaft als hinderlich. Sie geben sich deswegen mit Scheinverbindungen zufrieden und riskieren, auf Dauer selbstgemacht zunehmend zu vereinsamen, auch wenn sie sich der Folgen oft erst im höheren Alter bewusst werden.
Die Medien, genauso wie die allgemeine Tendenz zum Egozentrismus in unserer Gesellschaft und die damit verbundenen individuellen Erfahrungen führen zunehmend dazu, dass anderen Menschen oft misstraut wird. Ebenso können biographische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, denn die Einsamkeit wird besonders schmerzlich, wenn Menschen in unserer hektischen und selbstzentrierten Welt durch körperliche oder seelische Leiden, durch ein persönliches „Anders-Sein“, ein „Anders-Denken“ sowie durch den Verlust vertrauter Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden oder sich in ihrem Schmerz und ihrer Verbitterung selbst aus ihren sozialen Verbindungen zurückziehen. Oft ist es diesen Menschen dann nicht mehr möglich, aus eigener Kraft wieder zurück in soziale Kontakte zu finden, da ihr Umfeld mit der Situation überfordert und hilflos ist – oder auch zu stark mit sich selbst beschäftigt, um auf eine andere, unter Einsamkeit leidende Person zuzugehen. Für Betroffene ist es dann meist kaum möglich, ohne professionelle Hilfe wieder einen Weg aus ihrer Vereinsamung zu finden.
Der einzige Weg, um der chronischen Einsamkeit zu entkommen, ist der, (wieder) langfristige, tiefgehende, verbindliche, gute und dauerhafte zwischenmenschliche Verbindungen aufzubauen – dabei kann eine psychotherapeutische Begleitung notwendig und hilfreich sein. Ebenso können Haustiere bereits eine kleine Erleichterung bringen, auch wenn sie kein Ersatz für echte zwischenmenschliche Verbindungen sind.
Aber was kann genau getan werden, um Wege aus der sozialen Isolation und Einsamkeit zu finden?
Als Erstes ist es wichtig, dass Betroffene den Aktionsradius wieder erweitern und, wenn notwendig, psychotherapeutisch unterstützt, wieder lernen, in kleinen Schritten auf Menschen zuzugehen. Auch ein aktives Sich-Einbringen in die Gesellschaft kann hilfreich sein. So können beispielsweise Vereine oder Ehrenämter Betroffenen helfen, Kontaktmöglichkeiten zu schaffen und bieten zudem sinnvolle Beschäftigung, durch die auch Gefühle der Wertschätzung und des Gebrauchtseins gefördert werden können. Sehr wichtig ist es auch, die bereits zustande gekommenen/vorhandenen Kontakte zu selektieren – lieber wenige, dafür aber wichtige, echte, intensive und tiefgehende Kontakte pflegen, die auf Gegenseitigkeit beruhen und sich von oberflächlichen, digitalen, einseitigen oder toxischen Kontakten, die ein Gefühl der Einsamkeit unweigerlich verschärfen können, distanzieren sowie mit sozialen Medien sehr bewusst, reduziert und realistisch reflektiert umgehen! Ein weiterer wichtiger Punkt ist, auch wenn es in der Vergangenheit zu Kränkungen oder Verletzungen durch Mitmenschen gekommen ist, wieder zu lernen, anderen Menschen optimistisch und Gutes erwartend begegnen zu können, denn auf diese Weise steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass neue positive Erfahrungen gemacht werden können.
Festzustellen ist, dass das Problem der Einsamkeit unabhängig vom Alter, vom Bildungsgrad oder von der sozialen Stellung, ja sogar von der Anzahl der Menschen in unmittelbarer Umgebung, jeden Menschen jederzeit treffen kann. Vor allem aber können junge und ältere Menschen besonders häufig davon betroffen sein.
„Darin besteht die Liebe: Dass sich zwei Einsame beschützen, berühren und miteinander reden.“
(Rainer Maria Rilke)
Erlauben Sie mir bitte abschließend noch einen Appell an die Allgemeinheit: Wenn Sie mit anderen Menschen zusammen sind, legen Sie Ihre Smartphones beiseite und stattdessen reden Sie wieder miteinander! Ziehen Sie reale Kontakte digitalen/virtuellen (Schein-) Kontakten vor! Uns begegnen so viele Menschen in unserem alltäglichen Leben, jeder von ihnen könnte sich einsam fühlen und davon betroffen sein. Versuchen Sie, ihren Mitmenschen vorbehaltlos und vorurteilsfrei zu begegnen und diese in ihrer Eigenheit und Einzigartigkeit wertzuschätzen! Wenden Sie sich Ihren Mitmenschen zu (vor allem auch den jüngeren und älteren Menschen) und legen Sie Smartphones, Facebook, etc. öfter wieder beiseite. Sollten Sie selbst davon betroffen sein, scheuen Sie sich nicht, darüber zu sprechen und, wenn notwendig, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen! Gemeinsam können wir etwas gegen die Einsamkeit – die stille Geisel unserer modernen Gesellschaft – tun.
(© Mag. Thomas Rotter, BA pth.)
Quelle: Spitzer, M. (2016). Einsamkeit–erblich, ansteckend, tödlich. Nervenheilkunde, 35(11), 734-741. Golling an der Salzach: Schattauer
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