„Zu sein bedeutet erkannt zu werden. Und so ist es nur möglich sich selbst zu erfahren durch die Augen eines anderen. Die Natur unserer unsterblichen Leben ist die Folge unserer Worte und Taten welche sich durch alle Zeiten hindurch aufschlüsseln. Unsere Leben gehören nicht uns alleine; von unserem Anfang bis zu unserem Ende sind wir mit anderen verbunden, vergangen und gegenwärtig, und mit jedem Unrecht sowie jeder Freundlichkeit und Güte gebären wir unsere Zukunft“ (frei aus dem Englischen übersetzt – David Mitchell, Cloud Atlas).
Haben Sie diese Erfahrung auch schon einmal gemacht? Sie treffen zufällig oder gewollt einen Menschen dem Sie sehr zugetan sind, mit dem Sie eine vertrauensvolle Verbindung teilen, sich in dessen Gegenwart wohl fühlen, der ihnen freundlich und wertschätzend begegnet und, unabhängig wie müde Sie zuvor waren, ob ihr Tag stressig war, oder es Ihnen aus anderen Gründen nicht gut ging, nach dieser Begegnung fühlen Sie sich wieder besser, energievoller, kraftvoller – Ihre „Batterien“ sind wieder aufgeladener. Eine solche Erfahrung lässt uns die heilsame Wirkung einer Begegnung erfahren.
Wie David Mitchell, beschrieb bereits J.P. Sartre in seinem Werk „Das Sein und das Nichts“ die Begegnung zweier Menschen in ihrer ganzen Individualität, als existenzielle Notwendigkeit des menschlichen Seins. Am meisten jedoch wurde unser Verständnis der Bedeutung zwischenmenschlicher Begegnungen von Martin Buber (1978-1965), dem großen Dialogphilosophen des 20. Jahrhunderts, geprägt.
Ein Mensch ist nur Mensch mit einem anderen Menschen.
Die Bedeutung dieses Satzes wird uns erst dann verständlich, wenn wir einen anderen Menschen nicht mehr als Objekt betrachten, auch wenn unsere moderne individualistische Gesellschaft uns das gerne oft Glauben machen möchte. Die Bedeutsamkeit des Menschseins und des menschlichen Werdens kann von uns nur dialogisch erfasst werden – nämlich in einer wirklichen und echten Begegnung.
Wir begegnen einander dann unmittelbar und wirklich, wenn wir uns dafür öffnen im Wesen unseres ureigenen Seins das Wesen des anderen Seins in seiner Tiefe und Ganzheit zu erfahren und in einer Bewusstheit von ICH und DU, ganz und gar im Augenblick, physisch gegenwärtig und achtsam in unserer Wahrnehmung, sind. Eine solche Begegnung versteht Buber als die Urkategorie, die unser Menschsein genuin begründet (Schäder, 354). Wo sich Ich und Du als einander teilhabende physische Menschen gegenüber erleben, entsteht unser Menschsein und verwirklicht sich im zwischenmenschlichen Geschehen (Buber, 32).
Kein Mensch lebt für sich alleine. Die Verbundenheit mit anderen Menschen gehört zu unseren fundamentalsten menschlichen Grundbedürfnissen und damit auch die Begegnung. Sich zu begegnen bedeutet in Beziehung zu treten – mit anderen, ebenso wie mit uns selbst. Aus der kurz zusammengefassten Darstellung von Bubers Verständnis der Begegnung und dem einführenden Beispiel können wir klar erkennen, welche Verantwortung wir in der Gestaltung unserer alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Begegnungen tragen. Es liegt an uns, unsere zwischenmenschlichen alltäglichen Kontakte durch Freundlichkeit, Großzügigkeit, Wertschätzung, Güte und Mitgefühl zu heilsamen Erfahrungen werden zu lassen – sowohl für unser Gegenüber als auch für uns selbst.
Erlauben Sie mir diesen Artikel mit einem letzten und dem wohl eindrücklichsten Zitat Bubers zu schließen: „Der Mensch wird am DU zum Ich“ (32).
(Mag. Thomas Rotter, BA pth.)
Quellen:
Schäder, Grete (1966), in: Martin Buber. Hebräischer Humanismus. Vandenhoeck&Rupprecht: Göttingen
Buber, Martin (2006): Das dialogische Prinzip. Ich und Du. 10. Auflage. Gütersloher Verlagshaus
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